Der Genfer Julien Tornare hat lange für den Schweizer Luxusgüter-Konzern Richemont gearbeitet. 2017 wechselte er zum Pariser Konzern LVMH, zu dem auch die Marke Zenith gehört. Seine Mission: die traditionelle Schweizer Uhrenmarke neu lancieren. swissinfo.ch: Welchen Platz hat das El Primero Uhrwerk für Sie in der Saga der Uhrmacherkunst? Juliein Tornare: Es ist ein Uhrwerk – um nicht zu sagen, das Uhrwerk – par excellence. Es geniesst seit Jahren eine grössere Bekanntheit als ein einzelnes Modell oder manchmal sogar als die Marke Zenithexterner Link selber. In der Uhrmacherei ist das ziemlich einmalig. Die Frage, ob dies eine Stärke oder eine Schwäche sei, sorgte für viele Diskussionen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass es eine Stärke ist. Nun müssen wir neben diesem Uhrwerk aber auch ein ikonisches Modell entwickeln. swissinfo.ch: Damals, 1969, war Zenith als sehr innovatives Unternehmen anerkannt. Seitdem aber gab es immer wieder Probleme. Hemmte El Primero nicht die Innovation? J.T.: Als El Primero gegründet wurde, handelte es sich um einen äusserst innovativen Ansatz. Wir überschritten Grenzen. Natürlich dürfen wir nicht einschlafen und müssen weiter tun, was wir bis jetzt taten. Deshalb habe ich mich stark mit der Geschichte von Zenith auseinandergesetzt. Wir haben beschlossen, Innovation und Markendynamik wieder in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Die Uhrenindustrie hat ein bisschen eine der Vergangenheit zugewandte und repetitive Tendenz. Das könnte während ein paar Jahren auch für Zenith der Fall gewesen sein. Letztes Jahr haben wir "Defy 21" auf den Markt gebracht – eine Weiterentwicklung des Uhrwerks zur Messung einer Hundertstelsekunde. Dieses Jahr künden wir die Tausendstelsekunde an. An der Baselworld werden wir auch die "Defy Lab" vermarkten. El Primero zu haben ist eine Stärke. Aber sich darauf auszuruhen, wäre ein grosser Fehler. swissinfo.ch: Sie sind seit zwei Jahren Geschäftsführer bei Zenith. Mit Erfolg? J.T.: Erfolg ist relativ. Aber im Vergleich zur Situation, in der ich das Unternehmen übernahm, haben wir bereits einen langen Weg hinter uns. In jeder Hinsicht. Nicht nur beim Umsatz, der sich im vergangenen Jahr deutlich verbessert hat. Auch haben wir nun eine richtige Marketingabteilung und alle industriellen Prozesse verbessert. Indem wir an allen Ineffizienzen gearbeitet haben, haben wir viel gewonnen. Auch mit Blick auf Veranstaltungen sind wir wieder dabei – wir haben die Marke revitalisiert. swissinfo.ch: Was war Ihr Hauptproblem? J.T.: Die Frage der Mitarbeitenden. Bei meiner Ankunft war die Stimmung gelinde gesagt im Keller. Es gab Burnouts, viele hatten die Nase gestrichen voll. Das war für mich am Anfang am schwierigsten: Eine neue Dynamik zu schaffen und die Mitarbeitenden dazu zu bringen, an die neuen Projekte von Zenith zu glauben. Ich habe viel Zeit mit ihnen verbracht, um diese Dynamik wiederherzustellen. Heute können Sie fast jeden im Unternehmen fragen: Die Stimmung hat sich völlig verändert. Ich denke, dass der Erfolg der Marke nur durch Menschen erreicht werden kann. Nur durch Teamarbeit. Es ist ein wesentliches Element. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich das in dieser Zeitspanne hinkriege. swissinfo.ch: Seit zwanzig Jahren gehört Zenith zu LVMH, dem weltweiten Branchenführer der Luxusgüterindustrie. Hat das nur Vorteile? J.T.: Teil einer grossen Gruppe wie LVMH zu sein, ist eindeutig ein Vorteil. LVMH hat Zenith auch in den Jahren unterstützt, in denen es schwierig war. Zenith geniesst in der Gruppe eine grosse Sympathie. Wir profitieren von der Dynamik und dem Erfolg von LVMH. Das gibt uns einen Rahmen, wir können uns gelassener entwickeln, als wenn wir unabhängig oder Teil eines reinen Uhrenkonzerns wären. Denn die Uhrmacherei befindet sich heute in einem viel komplexeren Umfeld als Mode oder Schmuck. Zenith ist Teil des Luxus. Aber mein Ziel ist es, die Marke in einem Luxus zu positionieren, der bezahlbar bleibt. Oder zumindest realistisch. Viele Marken liessen sich von der ersten Generation superreicher Chinesen mitreissen. Sie erhöhten ihre Preise in verrückter Art und Weise. Mit der zweiten Generation vermögender Chinesen, die dem westlichen Kunden viel ähnlicher ist, war die Landung für viele ziemlich hart. Mit einem Einstiegspreis von fünftausend Schweizer Franken und einem Durchschnittspreis von rund neuntausend Franken ist Zenith gut positioniert. Wir haben uns vernünftig positioniert. Für die kommenden Jahre ist das von entscheidender Bedeutung. Die Menschen sind nicht mehr bereit, für ein Objekt wie eine Uhr jeden Preis zu bezahlen. swissinfo.ch: Die Baselworldexterner Link (21.-26. März) steht vor der Tür. Was erwarten Sie von der Ausgabe 2019? J.T.: Für uns ist sie wichtig. Wir feiern den 50. Geburtstag unseres Spitzenmodells El Primero und wir starten Defy Lab in einer kommerziellen Version. Aber wir alle erwarten von der Baselworld auch neuen Schwung und neue Ideen. Nicht unbedingt fürs 2019. Aber es muss ein Aktionsplan über die zukünftige Dynamik des Salons präsentiert werden. swissinfo.ch: Diese Art von Messe entspricht also immer noch dem Bedarf eines Hauses wie Zenith? J.T.: Ja und nein. Wenn es nur darum geht, Einzelhändler und Medien zu empfangen, hat eine solche Messe keine wirkliche Daseinsberechtigung mehr. Heute bestellen Einzelhändler das ganze Jahr über bei uns. Wir können sie einladen, sie besuchen, ihnen unsere neuen Produkte vorstellen. Wir sind viel flexibler in der Art und Weise, wie wir Bestellungen entgegennehmen. Die Baselworld wird an neuer Dynamik gewinnen, indem sie zu einer Plattform wird, wo wir tatsächlich unsere Einzelhändler und die Medien treffen. Aber auch, wo wir mehr Veranstaltungen organisieren und Endkunden einladen können. Echte Geschäfte machen und neue Handgelenke erobern. swissinfo.ch: Sie werden 2020 also auch wieder dort sein? J.T.: Im Prinzip ja. Dies wird stark von den Plänen abhängen, die Baselworld vorlegen wird. Wir sind seit langem an dieser Messe und bevorzugen sie. Aber ich will nicht im alten Modell bleiben. Ich warte darauf, was sie uns präsentieren werden. Ich denke, dass wir bis April unsere Entscheidung getroffen haben werden. swissinfo.ch: Was sind Ihre Geschäftserwartungen für dieses Jahr? J.T.: Ich muss für 2019 etwas vorsichtiger sein, angesichts dessen, dass die letzten drei oder vier Monate des Jahres 2018 nicht sehr gut für die Exporte der Branche waren. Und Januar war auch kein fabelhafter Monat. Es gibt viele Unsicherheiten. Schauen Sie bloss, was zwischen China und den USA läuft. Oder in Frankreich, das stark von den Protesten der Gelbwesten betroffen ist, begleitet von einem enormen Rückgang der Touristen aus China. Im Moment ändere ich unsere Wachstumsprognosen nicht, die für dieses Jahr zweistellig bleiben. LVMH hat mich eindeutig gebeten, ehrgeizige Ziele zu setzen, aber auf der Grundlage eines gesunden Wachstums. Sie wollen eine Markenvision und -konstruktion sehen. Wenn wir es schaffen, werden die richtigen Zahlen folgen.